Meinungsmontag: Grünes Licht auf Steam

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Disclaimer: Dieser Artikel enthält Amazon-Partnerlinks auf genannte Bücher. Wenn Ihr klickt und bestellt, kriege ich was ab.

Steam-Greenlight LogoEs gibt immer wieder Dinge, die viele Leute scheinbar irgendwie innovativ und interessant finden und die ich schlicht nicht verstehe. Aktuelles Beispiel: Steam Greenlight. Steam ist ein digitaler Spielwarenladen, im Grunde ein altes Konzept fit gemacht für das Netz. Aber lange hat’s gedauert, bis die Spieleindustrie auf den Trichter gekommen ist, dass man digitale Produkte auch digital vertreiben kann. Duh!
Mittlerweile gibt’s ein ganzes virtuelles Einkaufszentrum von digitalen Spielzeugläden (gog.com, mcgame.com oder EAs Origin, um nur einige zu nennen), das Konzept ist verbreitet und man muss sich etwas anstrengen, um weiter an der Spitze mitzufahren. Klarer Fall.

Nun versucht Steam weiter im Trend zu bleiben, indem es immer mal wieder neue Features einbaut, die scheinbar die “Experience” verbessern sollen. Und weil man eine große Community hat, beschloss irgendjemand im Innovations-Think-Tank, dass man die doch mit entscheiden lassen solle, welche Spiele auf Steam verkauft werden. Das geschieht nun seit einiger Zeit mittels Greenlight. Dort kann man sich über Spiele informieren, die Entwickler gerne über Steam verkaufen würden. Es gibt Bilder, Videos und Infos, man erfährt, warum ein Spiel toll ist (oder sein wird, da meist noch in Entwicklung) und man kann mit einem Klick seine Unterstützung oder sein Desinteresse kundtun. Nice! Aber warum?

Zunächst mal frage ich mich, warum Steam überhaupt Interesse daran haben sollte, Spiele nicht in den Verkauf zu nehmen. Denn das wäre ja  die Konsequenz einer Auswahl. Schlechte Qualität? Die wäre ja wohl vom Voting ganz unabhängig feststellbar. Mangelnder Platz im virtuellen Regal? Wohl kaum. Entstehen Steam Kosten, wenn ein Spiel in den Verkauf genommen wird? Sicherlich, aber sicher sind die auch verschwindend gering verglichen mit dem Aufwand, den ein Einzelhändler in der physischen Welt mit seinem fest verbauten Einbauregal hätte. Scheint mir auch nicht plausibel. Greenlight richtet sich ja speziell an Indie-Entwickler und tatsächlich wird das Ganze in der Dokumentation als Verifizierungsprozess bezeichnet. Das heißt, es ist anzunehmen, dass parallel zum Abstimmungsprozess einige technische und inhaltliche Anforderungen durch Steam überprüft werden, das macht ja durchaus Sinn, wenn man dort quasi als Verleger (neudeutsch: Publisher) auftritt. Immerhin müssen Spiele aber noch gar nicht fertig entwickelt sein, wenn man sie bei Greenlight einreicht. Dann hätte man lediglich eine Art gratis Marktforschung. Nicht zwecklos, aber letztendlich auch irgendwie perfide: Möchte ich als Entwickler eines Spieles, dass irgendwelche Nasen vor Fertigstellung der Software schon ihre Meinung äußern und basierend darauf womöglich mein Spiel nicht im (digitalen) Laden landet? Oder möchte ich lieber nach dem fertigen Produkt bewertet werden? Überhaupt, ist die Stärke von virtuellem Regal nicht gerade die, dass selbst Nischenprodukte genauso verfügbar gemacht werden können wie Zeugs für den Massenmarkt? [amazon_link id=”3423345314″ target=”_blank” ]The Long Tail[/amazon_link], und so? Gerade unabhängige Titel könnten so gut wie nie einen Platz bei Saturn oder so  finden, selbst wenn jemand das Geld ausgäbe. Warum also spielt sich ausgerechnet Steam hier als Gatekeeper auf?

Und welchen Sinn haben dann die Abstimmungen? Welchen Einfluss haben die denn tatsächlich? Ich würde mal postulieren, dass sich wohl nahezu jeder Entwickler (aber mindestens jeder unabhängige) klar darüber ist, dass es nicht nur für’s Marketing sondern auch aus anderen Gründen sinnig ist, sich so früh wie möglich eine starke Community zuzulegen. Crowdfunding-Projekte beispielsweise sammeln nicht nur Geld ein, sondern auch Fans der ersten Stunde. Und häufig dürfen die dann mitreden, gar mitentscheiden. Sie können auf Ideen kommen, die das Team nicht hat, aber auch dumme Ideen kritisieren. Open Source Kreativität, sozusagen. Ein Trend der schon viel und breit rezipiert wird und Gegenstand der Forschung ist. Das macht durchaus Sinn, denn dahinter steht die Erkenntnis, dass man nicht nur Ressourcen innerhalb einer Organisation nutzen kann sondern auch Ressourcen von außerhalb, die man häufig selbst nicht hat. Das Buch [amazon_link id=”3423345640″ target=”_blank” ]Wikinomics [/amazon_link] liefert hier viele gute Beispiele.

Aber wieder zurück zu Steam Greenlight. Hier können also nun auch Projekte ohne Crowdfunding eine Art Fanbase abschöpfen. Und die entscheidet auch gleich mit, ob das Spiel auf Steam kommt. Meiner Meinung nach eine maskierte bedeutungslose Entscheidung, aus folgenden Gründen:

  1. unendlicher Platz im virtuellen Regal, man kann auch Spielen für minimalste Randgruppen oder schlicht schlechten Spielen Raum verschaffen, und warum auch nicht? Die Kaufentscheidung zeigt’s doch am Ende eh!
  2. letztendlich kann man nur einen vagen Eindruck, nicht aber das tatsächliche Spiel bewerten, dass es ja meist noch gar nicht gibt. Womöglich werden so Spiele, die noch nicht vielversprechend klingen oder aussehen ausgesondert. Wäre doch schade, auch für das Geschäft von Steam.
  3. es wird einem eine Entscheidung vorgekaugelt, wo man längst eine treffen kann: Kaufe ich ein Spiel oder nicht! 

Das wäre alles nicht so wild, wenn wir nicht im Alltag schon genügend mit Pseudoentscheidungen belastet würden. Damit meine ich vor allem Konsumentscheidungen, die mittlerweile zum Teil bizarre Komplexität erreichen. Schonmal bei Subway ein Wurstbrot bestellt? Oder versucht, einen neuen Fernseher/Kleincomputer/YouNameIt beim Elektronikdiscounter zu erstehen?
Das schöne Buch [amazon_link id=”3430181933″ target=”_blank” ]Anleitung zur Unzufriedenheit[/amazon_link] von Barry Schwartz zeigt auf, dass die Überzahl an Entscheidungen und Auswahl uns mittlerweile unglücklich macht. Weshalb ich für Komplexitätsreduktion und die radikale Rationalisierung überflüssiger Entscheidungen bin. Denn während wir versuchen uns zwischen 20 Typen nahezu identischer LED-Fernseher zu entscheiden, fehlt uns die Zeit wichtige Entscheidungen (wie zum Beispiel, ob wir das Gerät wirklich per Konsumentenkredit bezahlen wollen) zu überdenken. Und letztendlich (auch das geht aus besagtem Buch hervor) ist es für uns wichtig, bewusst Entscheidungen da zu treffen, wo wir mit dem Ergebnis dann auch länger leben müssen. Denn nur wenn wir von der Entscheidung überzeugt sind, ziehen wir Sie auch durch und sind hinterher zufrieden damit. Wird man aber gezwungen (entscheidet also nicht selbst) bzw. hat zu viele Alternativen zur Verfügung ist es wahrscheinlich, dass wir unzufrieden sind, nicht die andere Option gewählt zu haben. Das kennt jeder, der sich irgendetwas vermeintlich zu einem guten Preis kauft, nur um Stunden später ein günstigeres Angebot zu finden. Bäm!

In dieser Tradition findet sich für mich der Klick auf den “JA”-Button bei Greenlight. Sicher, es ist nett über Titel informiert zu werden, bevor Sie gekauft werden können, aber es ist auch irgendwie Overkill. Und den tatsächlichen Einfluss meines Klicks halte ich aus genannten Gründen für minimal bedeutsam. Natürlich muss ich mich nicht beteiligen, ganz klar. Aber während ich im Rahmen eines Spieles gerne objektiv bedeutungslose Entscheidungen als profund und bedeutsam verkauft bekomme (im Rahmen der Immersion), wenn ich bspw. über Leben und Tod digitaler Charaktere entscheide, möchte ich in der Realität nicht mit solchen Luftnummern Zeit verbringen. Und dafür finde ich die Rahmung von Greenlight irreführend. Besser wäre es doch, wenn ich mein Like oder Dislike einfach so kundtun kann, ohne eine vlauschige Verknüpfung mit einem obskuren Evaluationsprozess, der mich gelinde gesagt, null interessiert. Ich entscheide schon was ich kaufe und damit eh implizit, was man mir anbietet. Interessanter wäre doch, die Community mal zu fragen, wenn es um die Festsetzung des Preises geht. Das wäre mal eine bedeutsame Entscheidung und innovativ noch dazu. Naja, vom Humble Bundle mal abgesehen… 🙂

Wie immer besteht die Chance, dass ich mit obigen Ausführungen lediglich meine umfassende Ignoranz zum Ausdruck gebracht habe. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, mich mit einem Kommentar zu erleuchten. Ich bitte darum. Danke.

UPDATE: Verlinkt hab’ ich den Artikel ja unten, aber hier ein Zitat passend zu einem meiner Punkte, denn offenbar ist selbst Gabe Newell in Teilen meiner Meinung: “Greenlight is a bad example of an election process. We came to the conclusion pretty quickly that we could just do away with Greenlight completely, because it was a bottleneck rather than a way for people to communicate choice.”

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