Schon etwas betagtere Kurzgeschichte von 2005 und auch eher ernst geraten, wenn nicht sogar unspannend, weil eigentlich nicht viel passiert. Ich glaube, es gibt auch noch eine andere Variante hiervon, vielleicht finde ich die auch noch. Ansonsten eine Geschichte, die ich nach einem Konzert geschrieben habe, die aber sonst keine Wurzeln in meiner Biografie hat.Â
Ich hätte wirklich nicht herkommen sollen. Ich hasse diese Parties und ich weiß das.
Eigentlich wäre ich lieber zuhause geblieben. Aber dann doch auch wieder nicht.
Ich gehe vor die Tür. Ein bißchen frische Luft schnappen. Drinnen ist es ja nicht auszuhalten. Stickig, verraucht, drückend. Party halt.
Scheint als wäre ich nicht der einzige.
“Hi!”
Sie blickt nicht auf. Aber ich sehe, dass sie geweint hat.
“Ist alles in Ordnung?” Ich überlege kurz, setze mich dann aber doch daneben, mit leichtem Abstand.
“Es geht schon.”
“Was ist passiert?” Manchmal fragt man aus Höflichkeit, manchmal aus Neugier. Beides nicht unbedingt edle Motive. Wir kennen uns nicht, da erwarte ich eigentlich nicht, dass sie was erzählen will.
“Ach, es ist wegen… meine Mutter hat gerade angerufen. Weil meine Oma gestorben ist. Eben gerade.”
“Das tut mir leid.”
Es ist unmöglich irgendetwas zu sagen, was nicht klingt wie aus einem schlechten Fernsehfilm oder dem Debüt eines deutschen Jungregisseurs. Egal wie lange man nachdenkt, nichts was man dazu sagen kann, ist besonders innovativ.
“Ihr standet euch sehr nahe?”
“Ja, schon irgendwie. Haben uns nicht häufig gesehen in letzter Zeit, aber früher… da war das ganz anders.”
Es tut mir wirklich leid. Wie sie da sitzt. Ich hab’ das Gefühl alles was ich jetzt sagen könnte löst nur noch mehr Traurigkeit aus.
Schweigen.
“Warum bist du hier draußen?” Berechtigte Frage.
“Ach, nur ein bißchen frische Luft. Ist so stickig da drinnen.”
“Mmhh.”
“Kann ich irgendwas für dich tun?” Soll noch einer sagen Seifenopern wären zu gar nichts nütze. Solider Satz.
“Willst du jetzt gehen?”
“Weiß nicht…”
“Soll ich gehen? Stör’ ich?” Ich fische nach einer Chance diese unangenehme Situation zu beenden. Sollte ein Ausweg sein.
“Nein, bleib’ ruhig, wenn du willst.” Wenn ich will. Naja, nicht wirklich, glaube ich. Also, Ich will schon. Ich will nicht wirken als würde ich nicht wollen. Wer will das schon.
Ich bleibe.
“Hast du schon mal jemanden verloren, der dir nahe stand?” Fragt sie.
“Naja, auch meine Oma, ist aber schon länger her. Aber sie wohnte weit weg und meine Eltern sind geschieden. Ich hab’ sie nicht oft gesehen, oft jahrelang nicht. Und sie war auch nicht mehr ganz da. Also, sie war im Heim, weißt du. Hat nicht mehr viel gesprochen. War auch traurig, aber nicht sehr. Schätze, das ist kein guter Vergleich.” Nein, definitiv nicht. Ich hab’ auch nicht geheult.
Wieder Schweigen.
“Früher war ich immer in den Sommerferien bei meinen Großeltern. Da hab’ ich mich immer tierisch drauf gefreut. Und später bin ich auch immer mal wieder nur so für ‘ne Woche hingefahren. Manchmal mit Freunden. Oma hat uns dann immer die Gästezimmer hergerichtet. Und uns bekocht von früh bis spät. Aber als die Schule vorbei war und ich anfing zu studieren, da ging das nicht mehr so einfach. Neben Job und Uni war kaum noch Zeit.”
“Ja, ist ein ganz schöner Stress manchmal.” Ist es auch.
“Naja, darum haben wir uns dann nicht mehr so oft gesehen. Meist an den Feiertagen und auf Geburtstagen.”
Kurzes Schweigen
“Hast du zufällig ‘ne Zigarette?”
“Nein, tut mir leid. Nichtraucher.”Â
“Echt? Mmmh, naja, vor der Uni hab’ ich auch nicht geraucht. Ist wohl der Stress.”
Dann wieder Schweigen. Ich blicke hinauf in die Sterne. Das Mädchen neben mir wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und starrt in die Leere der Nacht. Das geht eine ganze Weile so.
Mehr Schweigen.
“Ich denke”, sagt sie dann auf einmal, “es geht mir deshalb so zu Herzen, weil es ein großer Teil meiner Jugend und Kindheit war. So viele schöne Erinnerungen und Erlebnisse.”
“Und weil du einen so wichtigen Teil deiner Jugend mit deiner Oma verbindest, scheint es dir als wäre nicht nur ein wichtiger Mensch, sondern auch ein Teil deiner Vergangenheit gestorben. Und du trauerst auch um einen Teil von dir selbst, von dem du erkennst, dass er jetzt Vergangenheit ist.” Hab’ ich das wirklich gesagt? Spätestens jetzt muss sie ja denken, dass ich Psychologie studiere.
Sie schaut mich erstaunt an.
“Ja, genau so fühlt es sich an. Wie kommst du darauf?”
“Naja, das ging mir auch schon durch den Kopf. Es verändert sich so vieles, auch man selbst. Und man merkt irgendwann, wie man sich selbst verändert hat, schlagartig. Man merkt es nicht während es passiert, erst hinterher, wenn die Veränderung da ist. Und man wird wehmütig, wenn man in die Vergangenheit blickt. Traurig irgendwie.”
“Studierst du Psychologie?” Bingo! Ich grinse.
“Ja, aber das hat damit wenig zu tun. Viele von meinen Freunden bemerken das auch. Ich glaube, das ist auch normal. Obwohl, unsere Generation ist da vielleicht anders. Bewusster. Trauriger. Und bei dir ist es nun halt sehr real und greifbar.”
Wir sitzen noch eine Weile einfach so da. Schönes Schweigen.
“Ja, es ist schade, wenn man so zurückblickt und sieht was mal war und wohl nie wieder so sein wird. Dabei sollte man doch lieber in die Zukunft blicken. Optimistisch am besten.”
“Einerseits schon, aber auf der anderen Seite sollten wir wissen, wo wir herkommen. Unsere Vergangenheit ist es, die uns an den Punkt im Jetzt bringt, von dem aus wir in die Zukunft gehen.”
“Sehr philosophisch. Sollte eigentlich mein Thema sein.”
“Du studierst Philosophie?” Sie nickt und lächelt fast ein bisschen.
“Naja, ich hab’ dich jetzt schon so lange hier festgehalten. Du willst vielleicht wieder reingehen. Danke für’s zuhören auf jeden Fall.”
“Ach nee, ich glaube ich gehe nicht nochmal rein. Ist spät genug. Ich geh’ dann auch Heim. Kann ich dich irgendwo hin bringen?”
“Ich wohne da hinten im Wohnheim.”
“Ah, in die Richtung muß ich auch. Was dagegen, wenn ich…”
“Nein, los gehen wir.”
…
ca. 2005 – CC-BY-NC-SA